Arachnologische Mitteilungen 35

18 C.Muster, A. Herrmann, S. Otto & D. Bernhard Klimaerwärmung.Die neuen Nachweise der beiden Cheiracanthium -Arten mit möglicher Giftwirkung beim Menschen in Sachsen bestätigen, dass eine rezente Arealerweiterung tatsächlich stattfindet, und die reale Möglichkeit von Bissverletzungen bei Begegnung mit diesen Arten gegeben ist. Jegliche Areal-Expansion wird heutzutage jedoch allzu leichtfertig mit globaler Klimaerwärmung in Verbindung gebracht (vgl. K INZELBACH 2006) und dieWirkung der Bisse erreicht bei weitem nicht die befürchteten Ausmaße. Zunächst sind Tempo, Ausmaß und Art der Arealausdehnung bei den beiden betrachteten Arten grundsätzlich verschieden. Der Ammen- Dornfinger Cheiracanthium punctorium muss in wärmebegünstigten Gebieten Südwestdeutsch- lands als indigen oder zumindest natürlicherweise eingewandert betrachtet werden. Die allmähliche Ausbreitung nach Nord(ost)en entspricht dem Ausbreitungstrend zahlreicher „Wärmefolger“ (Überblick in P ARMESAN 2006). Ein Zusammen- hang zum anthropogen induzierten Klimawandel könnte also tatsächlich bestehen. Auch bei den Spinnen gibt es weitere Beispiele, wie Zoropsis spinimana (Dufour, 1820), die – ebenfalls aus dem Mittelmeerraum stammend – inzwischen Süd- und Westdeutschland erreicht hat (H ÄNG - GI & B OLZERN 2006). Allerdings geben bereits H ERRMANN et al. (1999) zu bedenken, dass auch Habitatveränderungen – die sprunghafte Zunahme der vormals quasi nicht vorhandenen Ackerbrachen – eine entscheidende Rolle bei der Ausbreitung von C. punctorium spielen könnten. Neuerdings ist in Brandenburg ein vermehrtes Auftreten in Häusern registriert worden, vor allem im August und September, wenn sich die weiblichen Tiere nach der Reifung der Eier auf der Suche nach Ei- ablageplätzen befinden. Um Bisse zu vermeiden, sollten in den entsprechenden Gebieten Pflanzen, die Versteckmöglichkeiten bieten (z. B. Salat), auf eventuell vorhandene Gespinste untersucht werden. Diese sollten, ohne geöffnet zu werden, abseits des Hauses ausgesetzt werden. Eher unwahrscheinlich scheint der primäre Einfluss von Klimaveränderung bei der rasanten Ausbreitung von Cheiracanthium mildei in Nord- amerika und Europa. Die beobachtete Etablierung von Arealvorposten oft fernab von Ursprungspo- pulationen spricht – im Zusammenhang mit der synanthropen Lebensweise in den neu besiedelten Gebieten – für Änderungen menschlicher Wohn-, Transport- und Reisegewohnheiten als Ursache der Ausbreitung (vgl. K OBELT & N ENTWIG 2008). Allerdings könnten die zunehmend mildenWinter eine dauerhafte Etablierung von Populationen in immer nördlicheren Breiten fördern. Zudem sind Änderungen der genetischen Konstitution von Aus- gangspopulationen in Erwägung zu ziehen, welche das Dispersions- und Etablierungsvermögen von Arten schlagartig verändern können. Cheiracanthi- um mildei muss in Deutschland als gebietsfremder Neuankömmling gelten. Möglicherweise wird er sich auch als invasive Art herausstellen, also eine solche, die eine Gefahr für die Natur in ihrem neuen Siedlungsgebiet darstellt bzw. negative Auswirkun- gen auf sie hat (Definition nach K LINGENSTEIN et al. 1995). Eine Langzeitstudie in kalifornischen Weinanbaugebieten legt nahe, dass C. mildei in kaum 20 Jahren die ehemals dort einheimische Art C. inclusum weitgehend verdrängt hat (H OGG et al. 2006). Bei gebietsfremden, invasiven Arten kommt demMonitoring eine besondere Bedeutung zu, um ggf. rechtzeitig Gegenmaßnahmen durchzuführen (K LINGENSTEIN et al. 2005). Die wiederholten Nachweise von C. mildei in verschiedenen Leipziger Stadtteilen verdeutlichen, dass es sich hierbei nicht um einen Einzelfund handelt, sondern dass sich die Art bereits etabliert hat. Eine weitere Ausbreitung ist beinahe gewiss. Bisher wurden aber noch keine Nachweise aus Großbritannien, den Benelux-Län- dern, Skandinavien oder dem östlichen Mitteleur- opa gemeldet. Trotz der Vielzahl gemeldeter Cheiracanthium - Bisse gibt es immer noch relativ wenige Fälle, bei denen Belegexemplare gesammelt und Spezialisten vorgelegt werden (F ORADORI et al. 2005). Eine kürzlich veröffentlichte, umfangreiche Studie hat gezeigt, dass während einer 50-monatigen Unter- suchungsperiode in den USA nur 10 Dornfinger- Bisse bestätigt werden konnten (V ETTER et al. 2006). Die Auswertung verifizierter Bisse in der Fachliteratur machte zudem deutlich, dass viele angebliche Auswirkungen von Dornfinger-Bissen ins Reich der Legende verwiesen werden müssen. Insbesondere konnte nur ein einziger Fall von schwacher Nekrose (lokaler Gewebeuntergang) auf- rechterhalten werden (M ARETIC 1962). Dagegen stimmt die überlieferteWirkung verifizierter Bisse (z. B. A RNOLD 1990) gut mit den Schilderungen der beiden Bissopfer aus Sachsen überein, und auch

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