Arachnologische Mitteilungen 58

Arachnologische Mitteilungen / Arachnology Letters 58: 62-84 Karlsruhe, September 2019 Überraschende Erstnachweise und neue Daten zu seltenen Spinnenarten (Arachnida: Araneae) aus Blockhalden in Baden-Württemberg Hubert Höfer, Franziska Meyer, Tobias Bauer, Steffen Bayer, Ingmar Harry & Laura Kastner doi: 10.30963/aramit5811 Abstract. Surprising first records and new data for rare spider species (Arachnida: Araneae) from screes in Baden-Württemberg, Germany. As part of an inventory of spiders in the recently (2014) founded Black Forest National Park, scree slopes were surveyed for the spiny scree wolf spider Acantholycosa norvegica sudetica (L. Koch, 1875) using pitfall traps. In 2017 considerable numbers of this species were trapped in each of the 13 examined scree slopes within the park boundaries as well as at its margins. In 2018 four additional screes were surveyed for the occurrence of this species. As byproducts to the valuable data on the scree wolf spider, these catches provided sev- eral records of rare spider species that are surprising for both faunistic and biogeographic reasons. Philodromus laricium Simon, 1875 and Troxochrota scabra Kulczyński, 1894 were recorded for the first time in Germany. Clubiona alpicola Kulczyński, 1882, Sittisax saxicola (C. L. Koch, 1846), Calositticus rupicola (C. L. Koch, 1837), Evansia merens O. Pickard-Cambridge, 1901 and Megalepthypantes collinus (L. Koch, 1872) have not been previously recorded in Baden-Württemberg. Pardosa nigra (C. L. Koch, 1834) was so far only known from the alpine mountain system. Evidence for the following species is noteworthy, because they have either not or only very rarely been recorded in the past decades: Clubiona frutetorum L. Koch, 1867, Echemus angustifrons (Westring, 1861), Episinus maculipes Cavanna, 1876, Lepthyphantes notabilis Kulczyński, 1887, Rugathodes bellicosus (Simon, 1873), Sagana rutilans Thorell, 1875, Thanatus sabulosus (Menge, 1875), Theri­ dion betteni Wiehle, 1960, Thyreosthenius biovatus (O. Pickard-Cambridge, 1875), Thyreosthenius parasiticus (Westring, 1851), Trichoncus affinis Kulczyński, 1894. Also remarkable are the regular captures of Gnaphosa bicolor (Hahn, 1833) in three scree slopes. Keywords: alpine species, biogeography, Black Forest National Park, faunistics, new records, screes, Southwestern Germany Zusammenfassung. Im Rahmen der Erfassung der Spinnen im 2014 gegründeten Nationalpark Schwarzwald wurden im Jahr 2017 Blockhalden als Habitat der Blockhalden-Stachelwolfspinne ( Acantholycosa norvegica sudetica (L. Koch, 1875)) mit Bodenfallen unter- sucht. Da die Art in allen 13 untersuchten Blockhalden in und am Rand des Nationalparks im Nordschwarzwald in hohen Dichten erfasst wurde, wurden 2018 vier weitere Blockhalden aufgesucht umüber Beobachtungen, Hand- und BodenfallenfängeVorkommen der Block- haldenwolfspinne zu belegen. Diese Fänge erbrachten neben wichtigen Daten zu dieser Art weitere faunistisch und biogeographisch interessante Nachweise bisher selten gefundener Arten. Neunachweise für Deutschland stellen die Funde von Philodromus laricium Si- mon, 1875 und Troxochrota scabra Kulczyński, 1894 dar. Bisher noch nicht in Baden-Württemberg nachgewiesen waren Clubiona alpicola Kulczyński, 1882, Sittisax saxicola (C. L. Koch, 1846), Calositticus rupicola (C. L. Koch, 1837), Evansia merens O. Pickard-Cambridge, 1901 und Megalepthypantes collinus (L. Koch, 1872). Bisher nur aus dem alpinen Gebirgssystem bekannt war Pardosa nigra (C. L. Koch, 1834). Interessant sind Funde von Arten, die lange Zeit nicht mehr oder insgesamt selten gesammelt wurden: Clubiona frutetorum L. Koch, 1867, Echemus angustifrons (Westring, 1861), Episinus maculipes Cavanna, 1876, Lepthyphantes notabilis Kulczyński, 1887, Rugathodes bellicosus (Simon, 1873), Sagana rutilans Thorell, 1875, Thanatus sabulosus (Menge, 1875), Theridion betteni Wiehle, 1960, Thyreosthenius biovatus (O. Pickard-Cambridge, 1875), Thyreosthenius parasiticus (Westring, 1851), Trichoncus affinis Kulczyński, 1894. Erwähnenswert erscheinen darüber hinaus regelmäßige Fänge von Gnaphosa bicolor (Hahn, 1833). Blockhalden sind inselhaft verteilte eiszeitliche Reliktlebens- räume im außeralpinen Mitteleuropa. Durch ihre Steilheit und das grobklastische Substrat sind sie primär und bis heute weitgehend waldfrei und gehören zu den letzten vom Men- schen nicht veränderten Ökosystemen (Urbiotope). Sofern sie in der Tiefe von sommerlichen Kaltluft- und winterli- chen Warmluftströmen durchzogen sind, konservieren sie peri- bzw. postglaziale Bedingungen (Molenda 1996, Fritze & Blick 2010). Vielfach finden sich deshalb unter den sie be- siedelnden Pflanzen und Tieren Glazialrelikte, die nach der letzten Kaltzeit nur an wenigen Standorten, die noch ver- gleichbare Bedingungen aufweisen, überleben konnten und deshalb disjunkte Verteilungen aufweisen (Kropf 1999, Mo- lenda 1999, Molenda & Gude 2000). Typische Blockhalden gliedern sich in den eigentlichen, meist steilen und vegetationsfreien Haldenkörper, einen nicht immer vorhandenen Kopfbereich unterhalb eines Nährfelsen und unterschiedlich strukturierte Randbereiche. Am Hal- denfuß kommt es zu Kaltluftaustritt im Sommer, im oberen Bereich zu Warmluftaustritt im Winter, unter bestimmten Umständen bilden sich sogenannte „unterkühlte Blockhal- den“ mit Eiskernen im Inneren (Brunner et al. 2013, Kom- posch et al. 2013). Eine ungestörte Halde bietet deshalb stark zonierte Kleinlebensräumen mit unterschiedlichem Mi- kroklima (Lüth 1993). Die Lebensbedingungen in und auf Blockhalden sind geprägt von extremen Temperaturverände- rungen auf der Haldenoberfläche imTageslauf, aber ausgegli- chenen Temperaturverhältnissen im Jahreslauf im Haldenin- neren und am Haldenfuß (Gude & Molenda 2000). Wenn im Frühjahr die Temperaturen nachts noch auf 5 °C fallen, können sie am frühen Nachmittag auf der sonnenbeschiene- nen Blockoberfläche bereits 40 °C erreichen. Hier können im Hochsommer teilweise über 60 °C gemessen werden (Kast- ner et al. 2018). Mittlere Tag-Nacht-Differenzen im Verlauf der Vegetationsperiode liegen zwischen 13 und 28 °C (Fritze & Blick 2010, Kastner et al. 2018). Dagegen sind die Tem- peraturverläufe im Haldeninneren, vergleichbar mit Höhlen, wesentlich ausgeglichener als in der Umgebung (Molenda 1996). Diese Bereiche bleiben im Winter frostfrei und im Sommer unter 15 °C (Fritze & Blick 2010). Die mittleren Jahrestemperaturen in den meisten Bereichen der Halden entsprechen den Temperaturen in anderen Lebensräumen der Mittelgebirge, der Haldenfuß hat aber als azonaler Kälte- punkt in Mitteleuropa besondere Bedeutung für eiszeitliche Reliktarten im außeralpinen Bereich (Fritze & Blick 2010, Molenda & Gude 2000). Hubert HÖFER, Franziska MEYER, Tobias BAUER, Steffen BAYER, Laura KASTNER, Staatliches Museum für Naturkunde Karlsruhe, Erbprinzenstraße 13, 76133 Karlsruhe, Deutschland; E-Mail: hubert.hoefer@smnk.de, tobias.bauer@smnk.de , laura.kastner@smnk.de Ingmar HARRY, Büro Arten Biotope Landschaft (ABL), Egonstraße 55, 79106 Freiburg; E-Mail: ingmariot@gmx.net eingereicht 14.3.2019, angenommen 13.8.2019, online 13.9.2019

RkJQdWJsaXNoZXIy MjI1Mjc=