Arachnologische Mitteilungen 58

Seltene Spinnenarten aus Blockhalden 81 aufgrund spezieller Ansprüche (Kalt-Stenotopie, Lithophilie, Frostfreiheit, starke Sonneneinstrahlung) oder Konkurrenz nicht in andere Lebensräume vordringen konnten (vgl. Frit- ze & Blick 2010). Besonders die Blockhalden-Stachelwolf- spinne A. norvegica sudetica scheint im Gebiet in und um den Nationalpark Schwarzwald in den glazialreliktären Halden größere Populationen aufgebaut zu haben, die in der Lage sind auch neu freigelegte Halden zu besiedeln, sobald sie die wichtigsten Ansprüche erfüllen (Kastner et al. 2018, in Vorb.). Die von uns festgestellten individuenreichen Vorkommen im Nordschwarzwald zeigen deutlich, wie wenig über die Ver- breitung einzelner Taxa selbst in Deutschland noch bekannt ist. Acantholycosa norvegica sudetica wird in die Gefährdungs- kategorie 3 in der Roten Liste Deutschlands gestellt (Blick et al. 2016). Aufgrund der hauptsächlichen Verbreitung in Mit- teleuropa (Nentwig et al. 2018) hat Deutschland mit einem ungefähren Anteil von 10–33% an der Gesamtpopulation (Blick et al. 2016) für diese noch wenig erforschte Form eine besonders hohe Verantwortung – wie nur für wenige andere Spinnenarten. Daher sollten Blockhalden mit Vorkommen dieser Spinne rigoros unter Schutz gestellt werden, z. B. in Form von flächenhaften Naturdenkmalen. Andere (z.B. lithobionte, boreomontane) Arten konnten vermutlich postglazial Blockhalden und vergleichbare Le- bensräume (Schutthalden, Geröllfelder, Felsen, Höhlen) dau- erhaft besiedeln ( L. notabilis, R. bellicosus, T. betteni ), werden vereinzelt aber auch an geeigneten Strukturen benachbarter Biotope (Totholz, Waldränder, Bergheiden) gefunden ( C. ru- picola , S. saxicola, Troxochrota scabra ). Die von Fritze & Blick (2010) als Postglazialrelikte in Blockhalden des Fichtelge- birges genannten Arten Anguliphantes tripartitus (Miller & Svatoň, 1978) und Clubiona kulczynskii Lessert, 1905 wurden in den für den Nordschwarzwald typischen Grinden (durch Beweidung auf den Hochflächen entstandene Bergheiden) und angrenzenden feuchten Wegrändern ( C. kulczynskii ) ge- sammelt (Kiechle 2005; Höfer unveröff., Belege in SMNK- ARA), Asthenargus perforatus Schenkel, 1929 im Bannwald Wilder See im Nationalpark Schwarzwald (Loch 2002). Einige hier aufgeführte Arten sind keine ausschließlichen Blockhaldenbewohner, werden aber wohl aufgrund ihrer ver- steckten Lebensweise (an/unter Steinen oder Totholz), guten Tarnung oder Nachtaktivität und wahrscheinlich geringen (Aktivitäts-) Dichten nur selten beobachtet und gefangen. So treten Arten, die gerne stark sonnenbeschienene Stellen auf- suchen, wie z. B. die Oberfläche toter und lebender Bäume auf Lichtungen oder Waldrändern, oder Felsen und offene Stel- len mit Steinen an Südhängen, regelmäßig auch in Blockhal- den auf, ohne echte Blockhaldenbewohner (Reliktarten) zu sein. Teilweise besiedeln sie auch vergleichbare (anthropoge- ne) Biotope, wie z. B. Steinriegel oder Mauern. Dazu gehören die xero-thermophilen Arten Echemus angustifrons, Gnaphosa bicolor, Thanatus sabulosus und Sagana rutilans sowie die eher in höheren Straten (vegetationsarmer Biotope) lebenden, und deshalb in Bodenfallen selten gesammelten Arten Clubiona frutetorum und Episinus maculipes . Die winzigen Linyphiiden werden vor allem bei besonderer Lebensweise, z.B. der Bin- dung an Ameisen ( Evansia merens, Thyreosthenius biovatus ), oder Hauptaktivität im Winter ( T. parasiticus, Megalepthyph- antes collinus ) insgesamt nur selten gefunden, ihre Nachweise auch aus Blockhalden sind wichtig für die Kenntnis ihrer Le- bensweise und Verbreitung. So zeigen auch diese Ergebnisse, dass die einheimische Wirbellosenfauna noch unzureichend bekannt ist, besonders in ihrer Dynamik und Reaktion auf Umweltveränderungen. Systematische Erhebungen mit solider Artidentifikation, langfristige Bewahrung der Belege und v. a. der Daten für zukünftige Analysen (morphologisch, genetisch) und Über- prüfungen sind wichtig als Grundlage für ein dringend erfor- derliches Monitoring möglichst vieler Gruppen in möglichst vielen Lebensraumtypen. Hier kommt dem Nationalpark eine besondere Rolle zu. Der Erhalt und Schutz der Blockhalden vor Wald- oder Wegebaumaßnahmen, Schottergewinnung oder touristi- schen Störungen (Begehung, Vermüllung) ist für den Schutz der seltenen und spezialisierten Arten wichtig (Molenda & Gude 2000), dieser scheint zumindest im Nationalpark Schwarzwald auch gewährleistet. Besonders interessant ist die Beobachtung der erheblichen Dynamik von einerseits Waldaufkommen in der Sukzession und andererseits Freile- gung von Blöcken durch Sturmereignisse in den Sandstein- halden im Nordschwarzwald, aber auch die Entwicklung der für einzelne Arten überlebensnotwendigen isolierten Kälte- löcher (Permafrostvorkommen) im Verlauf der gegenwärti- gen Klimaänderung. Danksagung Wir danken der Nationalparkverwaltung des NP Schwarzwald und den Regierungspräsidien Karlsruhe und Freiburg für die Sammelge- nehmigungen. Jörn Buse vomNP Schwarzwald half bei der Auswahl der untersuchten Blockhalden und der Vorbereitung der Feldarbeiten. Besonderer Dank geht auch an die Gutachter Volker Hartmann, Christian Komposch und Dietrich Nährig sowie Theo Blick für zahlreiche hilfreiche Hinweise. Literatur Arachnologische Gesellschaft 2019 Atlas der Spinnentiere Europas. – Internet: https://atlas.arages.de (1. 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