ARACHNOLOGISCHE GESELLSCHAFT

NOSFERATU

UND ANDERE NEUBÜRGER UNTER DEN SPINNEN

Durch die enorme Vernetzung des internationalen Handels in der heutigen Zeit entstehen unbeabsichtigt vielfältige Verbreitungswege für Pflanzen und Tiere aus fernen und exotischen Ländern. In LKWs, in Containerladungen, mit Ballastwasser oder mit Zierpflanzen, aber auch im Handgepäck der Urlauber gelangen fremde Arten zu uns. Manche Arten wurden auch absichtlich bei uns eingeführt, ohne mögliche Folgen für heimische Arten zu bedenken. In der Regel gelingt es nur wenigen Arten sich in fremden Klimaten und Lebensräumen zu etablieren. Aber einige schaffen es doch, zumindest in menschlichen Umgebungen zu überleben. 

Wenn sich Organismen einer Art bei uns im Freiland etablieren und dauerhafte Populationen bilden, spricht man von Neobiota. Pflanzen werden als Neophyten, Tiere als Neozoen bezeichnet. Die meisten dieser Neubürger bleiben weitgehend unbemerkt und ihre Vorkommen haben kaum Auswirkungen auf die heimische Tier- und Pflanzenwelt. Einige wenige jedoch erweisen sich als ökologisch problematisch, da sie wertvolle Lebensräume verändern oder heimische Arten verdrängen. Beispiele hierfür sind der extrem schnell wachsende Japanische Staudenknöterich (Fallopia sp.) oder der eigentlich in Nordamerika heimische Signalkrebs (Pacifastacus leniusculus), der die Krebspest auf die ursprünglich in Deutschland heimischen Flusskrebse überträgt, während er selbst dagegen immun ist.

Von den in Deutschland etablierten knapp 1000 Spinnenarten sind immerhin etwa 20 Neozoen (etwa 2%). Angesichts des zunehmenden Warenverkehrs und unserer Reiseaktivitäten muss damit gerechnet werden, dass die Zahl eingeführter Spinnenarten weiter zunimmt und sich unter Umständen auch mal für den Menschen unangenehme oder gefährliche Arten etablieren.

Text: T. Bauer (SMNK)

In (Süd-) Deutschland findet man in Häusern seit einigen Jahren große Kräuselspinnen, die keine Netze mehr bauen. Sie gehören zur Familie der Kräuseljagdspinnen (Zoropsidae).

Es handelt sich dabei um die bis vor etwa 20 Jahren nur aus dem Mittelmeergebiet bekannten Art Zoropsis spinimana. Sie wurde aller Wahrscheinlichkeit nach durch aus Südeuropa rück- oder einreisende Menschen eingeschleppt und hat sich besonders entlang des Rheins und der Nebenflüße durch die günstigen Klimabedingungen etablieren können. Inzwischen wird sie vermehrt auch außerhalb von Gebäuden, z.B. in Gärten und Schuppen gefunden.

Diese Kräuseljagdspinnen stellen ein Kuriosum in der Welt der Spinnen dar. Sie stellen zwar mit den speziellen Organen Cribellum (Spinnplatte) und Calamistum (Kamm) Kräuselfangfäden her, bauen aber keine Fangnetze mehr. Vielmehr fangen sie ihre Beute, indem sie diese verfolgen und im Sprung überwältigen. Wieso sollten sie also noch Kräuselfäden brauchen? Des Rätsels Lösung liegt im Bau des Eikokons. Die Eier werden in einen Teppich bzw. ein größeres Gespinst aus Kräuselfäden eingewoben und sind so vor Feinden geschützt. Das Muttertier bewacht darüberhinaus noch eine gewissse Zeit lang den Eikokon und die frisch geschlüpften Jungspinnen.

Zoropsis spinimana ist die häufigste Kräuseljagdspinne und erreicht 9-19 mm Körperlänge, die Beinspannweite kann bis zu 6 cm betragen. Durch ihr (im Gegensatz zu den meisten anderen einheimischen Spinnen auch auf Menschen wirkendes) Gift, ihren robusten Körperbau und ihre Geschicklichkeit bei der Jagd wird sie auch mit recht großer Beute fertig. Mitunter überwältigt sie auch Hausspinnen, die zumindest in Bezug auf die Beinspannweite größer sind. Kräuseljagdspinnen sind, wie viele Spinnen, überwiegend nachts aktiv und streifen dann auf der Jagd nach Beute umher.

Von einem direkten Kontakt mit einer ausgewachsenen Kräuseljagdspinne wird abgeraten. Ein Biss, der freilich nur dann erfolgen würde, wenn sich das Tier bedroht fühlt, ist nicht vollkommen harmlos. Der auftretende Schmerz ist aber meist schwächer als ein Wespenstich. Dagegen kann eine Hautrötung oder -Schwellung um die Bissstelle bis zwei Tage anhalten.

Steckbrief

Mehr zur Art im Spinnen Forum Wiki  -  Nachweise im Atlas der Spinnentiere

Literatur

  • Bertlich, I., Enk, A., Haenssle, H. A., Höfer, H. & Haus, G. (2018): Clinical Letter: Extensive local reaction after bite of the Mediterranean spider Zoropsis spinimana. – Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft 1–3.
  • Breitling et al. (2020): Liste der Populärnamen der Spinnen Deutschlands (Araneae). Arachnologische Mitteilungen 59: 38-60
  • Hänggi, A., Bolzern, A. (2006): Zoropsis spinimana (Araneae: Zoropsidae) neu für Deutschland – Arachnologische Mitteilungen 32: 8-10
  • Hänggi, A., Zürcher, I. (2013): Zoropsis spinimana – eine mediterrane Spinne ist in Basel (NW-Schweiz) heimisch geworden – Mitteilung der Naturforschenden Gesellschaften beider Basel 14: 125-134
  • Hänggi, A., Inches, S. & Brunner, S. (2020): Zoropsis spinimana - eine gebietsfremde Spinnenart aus dem Mittelmeerraum besiedelt auch Vogelnistkästen. – Ornithologischer Beobachter 117: 2–6.

Eine der bei uns am längsten etablierten Arten ist die sogenannte Gewächshausspinne Parasteatoda tepidariorum aus der Familie der Kugelspinnen (Theridiidae). Schon ihr Erstbeschreiber, der bekannte Arachnologe Carl Ludwig Koch (1778-1857) kannte die Art nur aus deutschen Gewächs- und Treibhäusern. Das ließ er auch in den wissenschaftlichen Artnamen mit einfließen. Das Tepidarium (lat. tepidus = lauwarm) war ein beheizter Raum im römischen Bäderbetrieb. Ursprünglich kommt die heute weltweit verbreitete Art wahrscheinlich aus Südamerika.

In jüngster Zeit sorgt ein anderer Neubürger für Aufsehen. Die Kräuseljagdspinne Zoropsis spinimana wurde wahrscheinlich mit dem Reiseverkehr mehrfach aus dem Mittelmeerraum eingeschleppt und konnte sich inzwischen bei uns vor allem im städtischen Umfeld etablieren. In Karlsruhe ist die Art heute regelmäßig zu finden.

Folgende, sicher nicht vollständige Liste soll einen kleinen Überblick über bei uns vorkommende fremdländische Arten geben. Infos zu den einzelnen Arten können z.B. im Wiki des Spinnen-Forums gefunden werden.

In Gewächshäusern:

  • Hasarius adansonii (Audouin, 1826)
  • Heteropoda venatoria (Linnaeus, 1776)
  • Uloborus plumipes (Lucas, 1846)
  • Parasteatoda tepidariorum (C.L. Koch, 1841)

Im städtischen Umfeld (in Häusern, Schuppen):

  • Cheiracanthium mildei (L. Koch, 1864)
  • Holocnemus pluchei (Scopoli, 1763)
  • Psilochorus simoni ( Berland, 1911)
  • Steatoda grossa (C.L. Koch,1838)
  • Steatoda triangulosa (Walckenaer, 1802)

Im Freiland:

  • Mermessus trilobatus (Emerton, 1882)
  • Ostearius melanopygius (O.P.-Cambridge, 1879)

Spinnen werden vor allem über Containerladungen, Obst- und Gemüseimporte sowie vermehrt über Topfpflanzen verschleppt. Daneben spielt der Transport in Futtertierpackungen (z.B. in Heimchenboxen) eine nicht unerhebliche Rolle. Da viele Spinnenarten lange Hungerphasen unbeschadet überstehen können, überleben sie Schiffsreisen oder LKW-Transporte meist sehr gut. Empfindlich sind sie jedoch gegenüber Minustemperaturen oder dem mehrmaligen Waschen und Desinfizieren von Waren.

In den letzten Jahren sorgen immer wieder vermeintliche Spinnenimporte durch Bananen oder anderes exotisches Obst für Aufsehen. Hierbei muss beachtet werden, das durch das mehrmalige Waschen, die genaue Inspektion und die Verwendung von Insektiziden kaum noch Spinnen über diesen Weg zu uns gelangen. Mehr Infos zum Thema "Bananenspinnen".

Aus subtropischen oder tropischen Regionen eingeschleppte Spinnenarten können vor allem dort überleben, wo die klimatischen Bedingungen denen ihrer Heimat entsprechen. So findet man vor allem in Gewächshäusern von Botanischen oder Zoologischen Gärten, aber auch von Gartenmärkten häufig exotische Spinnenarten, die zusammen mit anderen eingeschleppten Arthropoden eigene Gemeinschaften bilden.

Einige ursprünglich rein mediterran verbreitete Spinnenarten leben schon lange, aber auch nur in unserem häuslichen Umfeld, so die einzige Speispinnenart Scytodes thoracica und die sehr häufige Zitterspinne Pholcus phalangioides. Neuere Einwanderer sind die Zitterspinnenart Holocnemus pluchei, die man in Lagerhäusern und Baumärkten findet. Auch die weiter oben schon genannte Kräuseljagdspinne Zoropsis spinimana kommt aus dem Mittelmerraum und breitet sich spätestens seit 2005 in Deutschland aus. Ebenso wie Mildei's Dornfinger Cheiracanthium mildei wurde sie bisher aber ausschließlich an oder in Häusern gefunden. 

Im Freiland konnten sich bei uns bisher nur wenige gebietsfremde Arten etablieren. Die Zwergspinne Mermessus trilobatus wurde nach dem Zweiten Weltkrieg aus Nordamerika nach Mitteleuropa eingeschleppt und kommt heute in ganz Deutschland vor, vorzugsweise in Wiesen und auf Äckern. Ostearius melanopygius, ein sehr guter Flieger und wahrscheinlich deshalb inzwischen Kosmopolit, kommt bei uns mitunter auf Misthaufen in extrem hohen Dichten vor und wird deshalb auch "Misthaufen-Spinne" genannt.

In Mitteleuropa haben sich bisher keine für den Menschen gefährlichen fremdländischen Spinnenarten etabliert, obwohl immer wieder einzelne Exemplare verschiedener hochgiftiger Spinnenarten eingeschleppt werden. Besonders in den Medien präsent sind die sogenannten "Bananenspinnen", die in Obstregalen der Supermärkte auftauchen. Von den unzähligen Meldungen, die besonders in den Sommermonaten in Lokalzeitungen und im Internet zu finden sind, erweist sich aber meist nur ein winziger Prozentsatz tatsächlich als tropische Spinne der gefährlich giftigen Gattung Phoneutria (Bananenspinne im engeren Sinn oder brasilianische Wanderspinne) oder einer anderen exotischen Spinne. Mehr dazu ...

Des Öfteren werden verschiedene heimische und in Wohnungen auftretende Kugelspinnen (Theridiidae) der Gattung Steatoda (Fettspinnen) für Schwarze Witwen gehalten. Die Europäische Schwarze Witwe Latrodectus tredecimguttatus ist aber nur im Mittelmeerraum verbreitet und meidet vom Menschen bewohntes Gebiet.

Einzelne Einschleppungen von anderen Schwarzen Witwenarten, z.B. aus Nordamerika, kommen nur äußerst selten vor. Populationen dieser unter Umständen für den Menschen unangenehmen Spinnenarten konnten sich bisher in Mitteleuropa nicht ansiedeln.

Bisher konnten sich nur einige wenige gebietsfremde Spinnenarten bei uns im Freiland etablieren. Dabei handelt es sich vor allem um kleine, unauffällige Arten, wie etwa die aus Nordamerika stammende Zwergspinne Mermessus trilobatus oder die weltweit verbreitete Ostearius melanopygius aus der gleichen FamilieBisher gibt es keine Anzeichen, dass sie einheimische Arten verdrängen.

  • Jäger, P. & Blick, T. (2009): Zur Identifikation einer nach Deutschland eingeschleppten Kammspinnenart (Araneae: Ctenidae: Phoneutria boliviensis). Arachnologische Mitteilungen 38: 33-36
  • Kobelt M. & Nentwig W. (2008): Alien spider introductions to Europe supported by global trade. Diversity and Distribution 24: 273-280
  • Nentwig, W. 2010: Invasive Arten. UTB GmbH, 128 Seiten.
  • Nentwig W. (2015): Introduction, establishment rate, pathways and impact of spiders alien to Europe. Biological Invasions 17: 2757-2778
  • Vetter, R. S. & Hillebrecht, S. (2008): Distinguishing two often-misidentified genera (CupienniusPhoneutria) (Araneae: Ctenidae) of large spiders found in Central and South American cargo shipments. American Entomologist 54:82-87