ARACHNOLOGISCHE GESELLSCHAFT

Spinne des Jahres 2009

Die Dreieckspinne Hyptiotes paradoxus (C. L. Koch, 1834)

Wahrscheinlich jeder kennt das typische Radnetz der Kreuzspinne. Auch ist allgemein bekannt, dass die Natur über die Jahrmillionen Organismen und ihre Verhaltensweise in zum Teil bizarrer Art und Weise verändert. Die Spinne des Jahres 2009 zeigt uns, wie DAS Spinnennetz schlechthin zu einem raffinierten Fangutensil umgestaltet wurde.

Zunächst aber: der Protagonist ist unscheinbar klein (3–6 mm Körperlänge), unscheinbar gefärbt (hellgrau, bräunlich oder dunkler, meist mit Muster aus hellen, z.T. gefiederten Haaren) und lebt versteckt (hauptsächlich in Nadelforsten zwischen trockenen Zweigen im Waldesinneren). Die Spinne ist auffällig gedrungen, sowohl Körper als auch Beine, und in ihrem Lebensraum hervorragend getarnt. Der Hinterleib ist dreieckig hochgewölbt, und man könnte meinen, dass er entscheidend bei der Namensgebung war.

Aber da ist noch das Netz, welches die Spinne am ehesten verrät. Geht man durch eine Fichtenschonung, überlässt man am besten der gegenscheinenden Sonne die Aufgabe, die etwa 20 cm großen Netze zu enttarnen: diese bestehen aus lediglich vier Radialfäden und den dazwischen aufgespannten Fangfäden, also aus drei Teilsegmenten eines Radnetzes. Gehalten wird das Netz von einem Rahmenfaden und auf der Gegenseite von einem der Nabe entspringenden Signalfaden. Insgesamt erscheint es so wie ein seidenes Dreieck. Hyptiotes selbst hat sozusagen die Fäden in der Hand, lauert zwischen Nabe und Anheftungspunkt als lebendes Zwischenstück in den Signalfaden eingebaut. Gerät ein Insekt in die Fangfäden, lässt die Spinne ruckartig die Falle zuschnappen, indem sie den Faden hinter sich verlängert und so die Spannung des Netzes verringert. Auf diese Weise schlagen über der Beute die Fangfäden zusammen, so dass die Netzinhaberin anschließend ein leichtes Spiel hat.

Für Spinnen-Phobiker ist diese Art der Silberstreif am Horizont, denn wie alle Vertreter der Kräuselradnetzspinnen (Familie Uloboridae; in Deutschland gibt es zwei weitere Arten) besitzt die Dreiecksspinne keinerlei Giftdrüsen. Auch diese wurden —wie schon das Radnetz— im Laufe der Evolution reduziert. Die Beute wird zu einem bewegungsunfähigen Klumpen eingesponnen. Beim Verdauen der Beute muss nun zunächst die Seide verdaut werden, um an die Nahrungsstoffe der Beute zu gelangen — dies geschieht wie bei allen Spinnen mit einer Verdauung vor dem Munde.

Eine weitere Besonderheit, die sich die Dreiecksspinne mit etwa 50 Spinnenarten in Europa teilt, ist die Kräuselfangwolle. Für ein Verständnis derselben ist der Aufbau der Spinnwarzen wichtig darzustellen: Für gewöhnlich haben Spinnen sechs Spinnwarzen, das sind kurze, durch Reduktion von Gliedmaßen entstandene Anhänge am Ende des Hinterleibs. Auf diesen Spinnwarzen sitzen Spinnspulen, die in Verbindung mit den Spinndrüsen im Körperinneren stehen. Aus diesen Spulen tritt die Seide aus und wird z. B. als Rahmenfaden oder Kokonfaden verwendet. Die cribellaten Spinnen haben zusätzlich zu diesen sechs Spinnwarzen ein Spinnsieb, welches direkt vor den Spinnwarzen liegt. Es gilt als Homolog zu einem vierten Paar Spinnwarzen, das bei den Vorfahren der Spinnen vorhanden war und bei ganz wenigen urtümlichen Vertretern noch auftritt. Aus diesem Spinnsieb treten aus feinsten Spinnspulen Tausende von Einzelfäden aus. Diese werden mit einem Kräuselkamm (das ist eine Borstenreihe auf dem letzten Beinpaar; Calamistrum) aufgekämmt, so dass eine feine Fangwolle entsteht. Sie hat eine um ein Vielfaches höhere Adhäsionskraft als z.B. die Leimfäden der Kreuzspinne und den Vorteil, dass sie nicht durch Verdunstung eines Klebstoffes häufig erneuert werden muss.

Zum Schluss sei noch eine morphologische Absurdität bei Hyptiotes paradoxus erwähnt. Alle Spinnenmännchen müssen in Ermangelung eines Penis ihr Sperma indirekt übertragen. Dies tun sie mithilfe von Kopulationsorganen an ihren Tastern — das sind Gliedmaßen zwischen den Fangzähnen und den Laufbeinen. Bei fast allen Spinnen besitzen diese Organe eine geringe bis mäßige Größe. Bei Hyptiotes allerdings erreichen sie ein Volumen, das zusammen fast dem des gesamten Vorderleibes entspricht.

Neben all ihren Besonderheiten ist die Dreiecksspinne auch eine gewöhnliche Spinne: sie ist weitverbreitet, kommt von Westeuropa bis nach Ostasien vor, ist in ganz Deutschland zuhause, so denn Wälder vorhanden sind, und selbst ihr Gattungsname („die auf dem Rücken Liegende“, „die Träge“ , auf ihre Ruheposition ansprechend) vermittelt etwas sehr Entspanntes — gleichwohl es zum Überleben wichtig scheint, sich anständig zu tarnen und somit auch Ruhe zu halten. Der spezifische Namenszusatz „paradoxus“ („die Merkwürdige“) macht dann wieder neugierig, mehr über diese Spinne zu erfahren. Sollten Sie zur Reifezeit von Hyptiotes (Juli bis Oktober) ein paar Stunden erübrigen können und ihrem geplagten Rücken einen Spaziergang auf weichen und duftenden Fichtennadeln gönnen, besuchen Sie doch mal die Dreiecksspinne in ihrer Welt!

Text: Peter Jäger

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Deutschland:

Dr. Martin Kreuels, 48161 Münster, Nordrhein-Westfalen (NRW) E-mail: kreuels (at) aradet.de

Europa:

Dr. Milan Řezáč, Department of Zoology, Charles University, Vinicna 7, 128 44 Praha 2, Czech Republic eMail: pavouk.milan (at) seznam.cz

Beteiligte Länder (Anzahl Länder: 21, Anzahl Jurymitglieder: 71): Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn.

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