ARACHNOLOGISCHE GESELLSCHAFT

SPINNVERMÖGEN

Die Fähigkeit Spinnseide zu produzieren ist mehrfach im Tierreich unabhängig entwickelt worden, vermutlich 23 mal innerhalb der Insekten und jeweils einmal bei Krebstieren, Tausendfüßern, Milben, Pseudoskorpionen und Spinnen. Für die Nutzung von tierischer Seide durch den Menschen sind vor allem Seidenspinner (Raupen des Maulbeerspinners Bombyx mori - einer Schmetterlingsart) und die Echten Spinnen (Webspinnen) von Bedeutung.

Im Gegensatz zu den Schmetterlingen und auch fast allen anderen Seide produzierenden Tieren spinnen alle Spinnenarten während ihres gesamten Lebenszyklus und die meisten können gleichzeitig mehrere Seidenarten produzieren um damit vielfache ökologische Funktionen zu erfüllen.

Texte: H. Höfer (SMNK)

Mit Spinnen verbinden wir gedanklich immer Spinnvermögen und Netze. Tatsächlich sind alle Echten Spinnen (Araneae) in der Lage, in speziellen Drüsen Seide herzustellen, die dann mit Hilfe der am Hinterleib sitzenden Spinnwarzen als Spinnfäden sehr gezielt eingesetzt werden. Allerdings fangen nicht alle Spinnen ihre Beute mithilfe von Netzen. Viele Arten jagen ihre Beute aktiv oder lauern ihr auf. Diese "Jagdspinnen" verwenden Spinnseide zur Herstellung von Sicherungs- oder Signalfäden, zum Bau von Wohngespinsten und von Eikokons.

Unter den "Netzspinnen" gibt es dagegen verschiedene Netzformen und damit verbundene Beutefangtechniken. Über das Netz werden zunächst Signale an die Spinne übermittelt. Ein Fangnetz sollte aber auch die Beute zumindest so lange im Netz halten, bis die Spinne sie durch einen Biß lähmen oder durch Einwickeln in Spinnseide überwältigen kann. Dazu sind im Laufe der Evolution in einigen Spinnenfamilien Fangfäden entwickelt worden, die mit einer klebrigen Substanz überzogen werden. Zu diesen sogenannten Klebefadenweberinnen gehören alle Radnetzspinnen, also z.B. auch die einheimischen Kreuzspinnen.

Eine andere Technik - die der Kräuselfadenweberinnen - macht die Netze durch Verwendung einer Fangwolle besonders fängig. Diese Wolle aus vielen einzelnen, sehr dünnen Kräuselfäden wird mithilfe eines speziellen Spinnorgans, dem Cribellum (Spinnsieb) und einer Art Kamm, dem Calamistrum hergestellt. Deshalb werden diese Spinnen als cribellate Spinnen bezeichnet.

Seidenproduktion ist eine Schlüsselfunktion der Spinnenbiologie: sie ist unverzichtbar für die Fortpflanzung - die Männchen übertragen die Spermien zunächst auf ein Netzchen und nehmen es von dort mit den sekundären Begattungsorganen der Pedipalpen auf - und schützt bei allen Spinnen als Kokon die Eier. Das Spinnvermögen hat sicherlich ganz wesentlich zum evolutionären Erfolg der Spinnen beigetragen.

Spinnen existieren seit etwa 350 Millionen Jahren (dem Karbon) und Seidenproduktion ist innerhalb der artenreichen Ordnung der Spinnen (rezent > 44.000 Arten) nur einmal und zwar sehr früh entwickelt worden. Die Evolution der Spinnseide auf molekularer Ebene spiegelt deshalb weitgehend die morphologische und physiologische Evolution der Spinnen wider. Gliederspinnen (Mesothelae) und Vogelspinnen (Myglomorphae) unterscheiden sich in der Zahl und im Aufbau ihrer Seidenproteine von den modernen Radnetzspinnenverwandten.

Spinnseide wird bei Spinnen in speziellen Drüsen im Hinterleib gebildet. Deren Zellen sekretieren Proteine in deren Lumen, die über verengte Gänge bis zu den Spinnspulen auf den Spinnwarzen führen. Jede Drüse ist mit einer Spinnspule verbunden. In den Drüsen ist die Spinnseide flüssig, die Proteine liegen hoch konzentriert in wässriger Lösung vor. Im Drüsengang wird unter starken Scherkräften Wasser entzogen und Ionen ausgetauscht, wodurch die Proteine parallel angeordnet werden und zu wasserabweisenden Fasern werden. Diesen Prozess zu verstehen und nachzustellen ist die große Herausforderung bei der Produktion künstlicher Spinnseide.

Es gibt bis zu 7 verschiedene Spinndrüsen bei einer Spinnenart (v.a. bei Radnetzspinnen), die unterschiedliche Seiden herstellen:

  • große ampullenförmige (ampullate) – für Abseil-, Sicherheitsfäden, Rahmenfäden im Netz
  • kleine ampullenförmige (ampullate) - für den Faden der Hilfsspirale im Radnetz
  • geißelförmige (flagelliforme) – für die Tragfäden der Fangspirale
  • zusammengesetzte (aggregate) – für die Klebtropfen auf der Fangspirale
  • zylindrische (tubuliform, cylindrical) – für äußere Eikonkonfäden
  • traubenförmige (aciniforme, in Vielzahl) – für innere Eikokonfäde und zum Einwickeln der Beute
  • birnenförmige (pyriforme) – „zementieren“ Sicherheitsfäden am Substrat fest

Allerdings gibt es je nach Spinnengruppe (Taxon) eine große Variabilität in Vorhandensein, Morphologie und Anzahl der Spinndrüsen und entsprechend der Spinnseiden. Bei Araneoiden (Radnetzspinnenverwandten) können mehr als 300 einzelne Fasern gebildet werden bzw. aus den Spinnspulen austreten. Das Spermanetz der Spinnenmännchen wird zu einem großen Teil mit aciniformer Seide gebildet, aber auch mit Seide? aus Drüsen, die in der Geschlechtsöffnung münden (nicht auf den Spinnwarzen!).

Spinnseiden bestehen grundsätzlich aus Strukturproteinen, die als Spidroine (spider – fibroins) bezeichnet werden. Komplette Gensequenzen (11.000 Basenpaare) für Spidroine sind nur wenige bekannt. Diese Proteine sind sehr lang (etwa 3700 Aminosäuren) und besitzen meist eine stark repetitive Kernsequenz (viel Glycin, Alanin, Serin) und ähnliche N- und C-Endabschnitte. Diese sehr konservativen Abschnitte spielen wohl eine große Rolle bei der Fadenbildung und kommen im Gegensatz zu den Fibroinen nur bei Spinnen vor.

Spinnfäden sind mechanisch unerreicht von allen biologischen und den meisten technischen Materialien bezüglich Festigkeit, Elastizität und Zähigkeit (Energieaufnahme), bei gleichzeitiger Leichtigkeit. Interessant sind die Seiden auch, weil sie bei Raumtemperatur aus Wasser und nicht aus toxischen Materialien gebildet werden, außerdem weil sie biokompatibel (z.B. als Implantate) und biologisch abbaubar sind. Flagelliforme Fäden können reversibel um 300 % gedehnt werden ohne zu reißen.

Es bestehen aber große Unterschiede zwischen den Spinnseiden der Spinndrüsen verschiedener Spinnen(-taxa). Gut untersucht sind die Funktionen und Eigenschaften dabei nur bei wenigen Arten, meist großen Radnetzspinnenarten der Gattungen NephilaArgiope und Araneus, da diese relativ viel Seide produzieren. Als potentielle Modellorganismen für Spinnseidenproduktion kommen Latrodectus hesperusParasteatoda tepidariorum und Cupiennius salei in Frage, weil sie kleine Genomgrößen haben und leicht zu züchten sind.

Erst in den letzten Jahren konnten zum einen Verfahren zur Herstellung künstlicher Spinnenseide - mit Hilfe transgener Bakterien, zum anderen technische Lösungen für die Herstellung von Fäden aus der künstlicher Spinnenseide entwickelt werden. Mehr dazu ...

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  • Gosline, J.M., Guerette, P.A., Ortlepp, C.S. & K.N. Savage 1999: The mechanical design of spider silks: from fibroin sequence to mechanical function. The Journal of Experimental Biology 202: 3295–3303.
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  • Schulte, A.J. 2014: Künstliche Spinnenseide. Europäische Sicherheit und Technik (Fraunhofer INT): S. 106. PDF